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Die Fylgja Das Wesen der Schicksalsfrauen Germanische Glaubensvorstellungen zu beschreiben ist aus mancherlei Gründen schwer; zum einen war jener Glaube in keiner Weise dogmatisch festgelegt und somit für jeden Wandel offen, zum anderen gab es keine schriftliche Überlieferung, so daß sich im Laufe der Zeit ähnliche Vorstellungen verschiedener Regionen und Kulturkreise überlagerten und einander beeinflußten.
Spirituelle Wesen sind schon ihrer Natur nach flüchtig. So blieb auch jenes Wesen von dem Wandel nicht verschont, das die nordische Mythologie fylgja (pl. fylgjur ) nennt. Golther1 beschreibt die Fylgja oder Folgerin als „ein jedem Menschen beiwohnendes Wesen, die Seele“ ... die unerkannt schon der Geburt beiwohne und sich ihrem Besitzer und anderen Menschen namentlich vor dessen Tod zeige. Dabei trage sie die Züge des Menschen oder nehme eine beliebige Tiergestalt an. Sie wurde schließlich „zu einem Schutzgeist in Frauengestalt, zu einer Schicksalsgöttin“, die entweder über einen einzelnen Menschen oder auch über eine ganze Sippe wacht. Ob Fylgien, Disen, Nornen oder Walküren, es sind „Schicksalsfrauen, die das Leben eines Menschen von der Geburt bis zum Tod lenken“ und die – von anderen unbemerkt – schon bei der Geburt der Söhne zugegen sind (ebd. S.104 ff). Sie alle können ihre Gestalt wechseln, zumal ja ihr menschliches Aussehen auch nur eine ihrer Erscheinungsformen ist. Im Leben ihres Schützlings lassen sie sich in ihrer menschlichen Gestalt – wenn überhaupt – vielleicht als Traumbild erblicken; eher schon erscheinen sie als Tier, als Vogel oder Raubtier. Von den Walküren heißt es, daß sie als Schwäne davonfliegen (Wielandlied), während andere als todbringende Bestien, so auch als Wolf oder Bär erscheinen. Aus ihrem lebensbegleitenden umsorgenden Dabeisein erwächst schließlich ein so inniges Verhältnis, daß die Fylgja oder Walküre – nachdem sie ihrem Schützling den vorbestimmten Tod gebracht hat – den Toten im Grab aufsucht, ihm den lebensspendenden Trunk, alu2 , bringt und sich in Liebe mit ihm vereint. Mit der Entwicklung der Walhallidee geleitet sie ihren Helden in Odins Halle, versorgt ihn mit dem Notwendigen – Met zum Beispiel – und bleibt die Partnerin an seiner Seite. Was sonst nur bruchstückhaft aus Inschriften, Steinritzungen und Dichtung (Edda) erschlossen werden kann, bietet das angelsächsische Runenkästchen, Franks Casket, vollständig und in allen Facetten. Seine Bilderfolge stellt emblematisch den Lebenslauf eines königlichen Helden dar. Natürlich spielt darin die schicksalhafte Begleiterin eine bestimmende Rolle. Um ihren Beistand tagtäglich herbeizuwünschen, mußte sie tagtäglich zitiert werden. Was eignete sich da besser, als seine Schatulle, in der er die Kleinode seiner Beutezüge sammelt, und aus der er beim Umtrunk in der Halle seine Gefolgsleute durch Gaben ehrt. Das Wesen an der Wiege Ein solcher Lebenslauf beginnt mit der Geburt, und stellvertretend dafür hat der Schnitzer die Geburt Jesu gewählt, wobei es ihm auch so sehr auf die Gegenwart der gabenbringenden Zauberpriester ankommt, daß er sie mit der runischen Inschrift „Mægi“ zitiert. Ihre Wahl entspricht der dreifach alliterierenden g-Rune [], die „Gabe“ bedeutet. Scheinbar folgt er bei der Darstellung der syrisch-orientalischen Bildformel, wo Jungfrau und Kind rechts im Bild frontal dargestellt werden, während sich von links die drei Weisen aus dem Orient – Rangfolge und Haltung sind festgelegt – demutsvoll dem Thron nähern. 3 Wie die Kleinkönige einem Imperator, so bringen sie der „Heiligen Familie“ den schuldigen Tribut. Nur sind Gold, Weihrauch und Myrrhe eher symbolische Gaben für den Verlauf von Leben und Tod. Zwischen Thron und Besuchern steht auf Bildern dieses Typs der Engel. Dort ist er weder der wegweisende Führer der Ankömmlinge noch der Schutzengel des Neugeborenen. Er ist, was schon der Name besagt, Gottes Botschafter. Als solcher füllt er hier die Rolle des Zeremonienmeisters – wir würden heute Protokollchef sagen – aus. Er achtet darauf, daß die Besucher die notwendige Ehrerbietung zeigen und gestattet die Audienz. Was aber macht unser Schnitzer daraus, wo er sonst jedes Detail seiner Vorlage, vom Kreuzesnimbus bis hin zum Suppedaneum (Fußschemel), getreulich wiedergibt? Er plaziert einen Wasservogel, Gans oder Schwan, an eben die Stelle des himmlischen Zeremonienmeisters. Das ist keine Fehlinterpretation der Vorlage, sondern eine bewußte Änderung der Formel. Der wohl noch heidnische Runenmeister hatte keine dogmatischen Vorbehalte gegenüber christlichen Formeln, doch er füllte sie mit Inhalten seiner Vorstellungswelt. Ob der Odinsknoten (a.n. valknut) über dem Rücken des letzten der Drei die Mithraspriester zu Goden macht, das sei dahingestellt; doch der Vogel entspringt seiner Vorstellungswelt.
Jene Schicksalsfrauen, Fylgien oder Walküren, nehmen Vogelgestalt an, und so sind sie unerkannt bei der Geburt gegenwärtig. Wenn der Volksglaube schließlich den Schutzengel ersinnt (denn biblisch ist der nicht), dann behängt er den göttlichen Botschafter mit den Eigenschaften der Schicksalsfrauen, die schließlich in ihm auch zum Todesengel werden.
So verdrängt nun die Fylgja, die wachsame Begleiterin, den gebieterischen Angelos, den höfischen Protokollchef.
Helferin in der Not Links neben diese Szene setzt der Schnitzer eine Darstellung von der grausamen Rache, Wieland, des mythischen Schmiedes. Dieses Nebeneinander von Nächstenliebe und Vergeltung ist nicht so widersprüchlich, wie es scheint.
Zum einen geht es nicht um bloße Rache, sondern um die Freiheit des gefangenen Alben, zum anderen gilt Wieland – und das führte ja zu seiner Versklavung – als Quell des Reichtums. Und dies entspricht der anderen alliterierenden Rune der Inschrift (Verse vom Wal), wo die f-Rune [] dreimal den Stab trägt. Ihr ursprünglicher Name „Vieh“, war gleichbedeutend mit „Reichtum“. 4 Eine Bildformel, die also den sagenhaften Schmied zitiert, kommt nicht ohne die zwei Elemente aus, Rache und Wenn die Eltern aus der vergoldeten Hirnschale ihres Sohnes trinken, womit sie seinen Geist auslöschen, und wenn die Tochter mit dem Kind des Gefangenen schwanger ist, dann ist ihre Macht, die sich in der Generationenkette begründet, gebrochen. Erst dadurch wird der gefangene Albe frei und kann nun wieder seine Gestalt nach Belieben wandeln. Und dazu verhalf ihm seine Fylgja. Diese Annahme liegt nahe, denn die Rune bezeichnet das Schilfgras, eolhsecg, Heimat der Schwäne, deren Gestalt die Walküren gerne annehmen. Außerdem heißt es im Runenlied, daß sein scharfes Blatt den Krieger mit Blut bedecke, was ja letztlich dem Wesen der todbringenden Walküre entspricht. Wohl nicht zufällig bezeichnete ne. elk in elk-sedge, Schilfgras, auch die Wildgans (lat. anas anser und den Wildschwan, cygnus ferus, beides charakteristische Erscheinungsformen der Fylgja oder Walküre. Nach dem Wielandlied ( Vœlundarkviða ) waren die 3 Brüder, Vœlund, Egil und Slagfið über 7 Jahre mit 3 Schwanenjungfrauen verbunden, bevor die Mädchen davonflogen, um als Walküren zu wirken. Eine von ihnen hieß Ölrun, was man mit „Biergeheimnis“ übersetzen kann. Da Wieland und seine Partnerin Wesen einer elfisch-albischen Sphäre sind, wird er seine Helferin sogar gesehen haben, was gewöhnlichen Sterblichen nicht vergönnt ist. Ähnlich wie mit dem Magierbild, so will der Runenmeister auch hier seinem Schützling zum einen Wohlstand und zum anderen Beistand sichern, den Beistand seines Schutzgeistes, der Fylgja. Gefährtin im Kampf
Das Leben eines Kriegerkönigs ist durch den Kampf bestimmt. Sobald er sein Herrschaftsgebiet verläßt, befindet er sich im Feindesland. Die r-Rune [] bedeutet „Ritt“ und meint, wie es im Runengedicht heißt, den gefährlichen Ritt des Kriegers über die fremden Landstraßen.
Um sicher zu sein, daß auch Woden angemessen vertreten ist, gesellt der Schnitzer den römischen Zwillingen einen zweiten Wolf bei, und macht sie so zu Geri und Freki. Die Szene verlegt er weg von der Grotte am Tiber in den „heiligen Hein“, wo vier Krieger andächtig knien. Jedem ist, wie die Zweigrunen der Bäume verraten, sein Los bestimmt. Wo aber verbirgt sich die Fylgja? In ihrer menschlichen Gestalt zeigt sie sich den Lebenden nicht, wohl aber in Tiergestalt, wobei besonders Wolf und Bär Manifestationen ihrer Wahl gewesen sein sollen. Als Walküre der Schlacht erfüllt sie ähnliche Aufgaben wie Wodens Wölfe oder Raben. Es liegt also nahe, sie auch hier im Zentrum der Darstellung zu vermuten, wohlmöglich als Wodens zweiter Wolf. Stifterin von Sieg ... Ein so vorbereiteter Feldzug wird natürlich nur durch den ruhmvollen Sieg gekrönt, der dann nach der Entfaltung königlicher Tugenden verlangt: Belohnung für die einen, Strafe für die anderen. Gerechtigkeit. Das alles ist in der t-Rune [] enthalten, die den Namen des alten Kriegsgottes Tiw oder Tir, der als Gott des richterlichen Things verehrt wurde. Der Runenmeister wählt wiederum die römische Tradition, wo er für den gesuchten Anlaut mit Titus nicht nur einen erfolgreichen Feldherren findet, sondern auch den späteren Kaiser über das Weltreich. Welch schöneres Emblem könnte sich sein Schützling wünschen?
Und so schnitzt der Runenmeister vier Szenen von der Eroberung Jerusalems im Jahre ... und Niederlage Der Held mag sich eine zeitlang auf dem Gipfel der Macht verweilen, doch das Leben hält nicht inne. Ein Kriegerkönig, wenn er nicht in Hel eingehen will, stirbt im Kampf. Er stirbt nicht, weil er dem Gegner unterlegen ist, sondern weil ihm seine Fylgja, nun als Walküre, als Wodens Schlacht-Erwählerin sichtbar wird, die den Erwählten durch ihren furchterregenden Anblick lähmt und dem Gegner so die Möglichkeit gibt, ihn zu töten. Da ist zunächst das Unglück, das der Text mit der alliterierenden h-Rune [] beschreibt. Der Runenname ist ‚Hagel’, was mit Unglück und Verderben gleichbedeutend ist. Der Name, der damit anlautet, ist Herh-os, was „Wald (Hag)-Gottheit (Ase)“ bedeutet. Das Bild gibt vermutlich eine verlorene Sage um einen germanischen Helden wieder. Im Augenblick des Todes begegnet er (linke Szene) einer Schreckensgestalt, einem Wesen, das sich hier aus den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Walküre (z.B. Vogel, Pferd, Schlange, Mensch) zusammensetzt. Und eben die ist es, die ihm einen Zweig entgegenstreckt, der sein Schicksal (Zweigrunen) birgt. Die drei Worte im Bild (risci > wudu > bita ,) lassen den Zweig zum tödlichen Speer werden. In Vogelgestalt, diese Deutung bietet sich an, fliegt sie von ihrem angestammten Ort, dem Harmberg, zum Grab des gefallenen Helden, so wie es die mittlere Szene darstellt. Neben dem Hügel steht sie, die Walküre, den todbringenden Speer in der Hand, den Pokal mit dem belebenden alu (Bier ist das heute) dicht dabei. 2 Sie wird den Toten im Grab aufsuchen, ihm den Trank einflößen, um sich dann in Liebe mit ihm zu vereinen. Damit ist nun die andere alliterierende Rune, die s-Rune [] zur Wirkung gekommen. Sie hat den Namen ‚Sonne’, was gleichbedeutend mit Licht und Leben ist. Das Pferd neben dem Grab ist von besonderer Natur. Ähnlich wie auf den gotländischen Bildsteinen ist es durch die "Odinsknoten", valknutr dem Geheiligten Bereich zugeordnet, nach jüngerer Auffassung Sleipnir vielleicht, Odins Achtbeiner.
Begleiterin nach Walhall Damit hat der Schnitzer seinem Schützling ein standesgemäßes Ableben gesichert. Nur sollte das nicht vor der ihm bestimmten Zeit eintreten, was wohl möglich wäre, wenn ein mißgünstiges Auge den Text läse. Um das unmöglich zu machen, ersetzt er alle Vokalrunen der Inschrift durch runenähnliche Zeichen und codiert damit die magischen Verse. Weil es wohl irgendwann ein Problem gegeben hat, versuchte ein unkundiges Schnitzmesser das Wort für Unglück (aglac) zu verstümmeln, was sicher nicht im Sinne des Runenmeisters geschah.
Helden im Himmel
Der Runenmeister sucht nun nach einer Bildformel, die seinen Schützling als Verteidiger an die Seite der Götter rückt. Mit der Gestalt des berühmten Bogenschützen EGIL findet er die in jeder Hinsicht geeignete Person. Er läßt dessen Name mit ‚Æ’ anlauten und hängt ihm aus numerischen Gründen noch ein ‚I’ an. Sein Held heißt nun ÆGILI und liefert mit dem Æ [] die passende Rune, die den Namen æsc , trägt, denn von der ‚Esche’ heißt es, daß sie „mit ihrem kräftigen Stamm zahlreichen Angreifern unerschütterlich Widerstand leistet“. Auch eignet sich ihr Holz bestens für Pfeil und Bogen, Egils Waffen. Aber auch Yggdrasil, der Weltenbaum, ist eine Esche7, und Asgard ist ein Teil von ihr.
Ob dieser Egil im 7. Jahrhundert schon als Bruder Wielands begriffen wurde, den das Wielandlied der Edda (Vœlundarkviða ) als solchen nur kurz erwähnt, ist ungewiß. Wie Wieland, so ist auch jener Egil der Partner einer Schwanenjungfrau und dürfte somit selber zu den Wesen der „niederen Mythologie“ (Sphäre zwischen Göttern und Menschen) gehört haben.8 Und wie dem Schmied auf der Vorderseite so ist auch ihm eine solche Gefährtin zugesellt. Falls unter dem Bogen eine weibliche Gestalt abgebildet ist, würde man an sie denken müssen. So wie der Herr der Halle, König oder Than, von seinem Hochsitz die Halle überblickt und die Helden ebenso wie die Biermägde beobachtet, so ist es auch im Reich der Asen. Und da wir uns in Walhall befinden, ist es der “Hochsitz Wotan/Odins”, Hliðskjálf genannt9, von dem aus der Gott alle neun Welten überblickt. Dafür sprechen neben dem Wotansknoten (valknut) direkt neben dem Bogen auch die beiden doppelköpfigen Tierpaare, die man als Odins Raben, Hugin und Munin bzw. als die Wölfe Geri und Freki deuten kann. Es wäre also der Gott selbst, der in den Kampf eingreift.
Es war die Rolle der Fylgja, ihren Schützling durch das Leben zu geleiten, wobei sie gelegentlich Züge der Nornen annimmt. Als Walküre bringt sie ihm den Tod, um ihn dann als Wotan/Odins Helferin - sie selber eine niedere Gottheit - nach Walhall zu geleiten, wo er sich in die Riege der Einherjer einreiht. Mit ihnen kämpft er an der Seite der Götter und unterliegt nicht mehr dem Mit dieser Bildformel sucht unser Runenmeister seinem edlen Schützling und Auftraggeber nach einem heldenhaften Leben und Sterben, der Einzug nach Walhall zu sichern. Keine andere Seite des Schatzkästchens war für diesen "Himmel der Helden" besser geeignet als der Deckel, unter dem sich der Schatz für das eher weltliche Wohlergehen befindet. Das Geschehen, das hier dargestellt wird, ist letztlich die Veranschaulichung des Tierkreises, in dem der „Schütze“ (lat. Sagittarius) als Sommersternbild gesetzt ist, während ihm gegenüber die „Zwillinge“ (Gemini) als Wintersternbild stehen. Damit sind die Sonnenwenden gekennzeichnet. Die Schildträger verbildlichen die Konstellation „Schild“ (Scutum), das die Tag-und-Nachtgleichen kennzeichnet. Götter und Helden sind Teil des kosmischen Zyklus, ein Kampf um die Sonne, der nach einem Äon an sein Ende kommt.( Die Plejaden, der Jahreszyklus und die Tierkreiszeichen ) =================================================================================== Bild: "Silberanhänger in Form einer Walküre", Köping Klinta, States Historiska Museum.
Anmerkungen: |
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