Die Darstellung ist klar in zwei (eine obere und eine untere) Bildzeilen gegliedert, die durch eine Arkade nochmals vertikal getrennt werden. Somit erhalten wir vier Bildteile.
Sieger und Besiegte
Im oberen linken Bildteil erkennen wir 5 gerüstete Angreifer, Römer unter ihrem Feldherrn Titus, - vermutlich hier der Anführer, gekennzeichnet durch den Helm und die abweichende Rüstung. Er und seine Legionäre haben die Juden, insgesamt 17 Menschen, in die Flucht geschlagen. Der letzte der Fliehenden wird vom Schwert getroffen, seine Waffe entgleitet ihm, während zwei weitere über den Bogen zu entkommen suchen. Im rechten Bildteil setzt sich diese Flucht fort. Die Einwohner Jerusalems – einige mit Wanderstab, ein anderer mit einer Trageflasche – verlassen den Ort.
Wenn wir nun die Anzahl der dargestellten Personen betrachten und diese (zugegeben recht spekulativ) über den Runenwert mit Begriffsrunen gleichsetzen, dann steht die 5 (Angreifer) für (rad), also für den Ausritt in den Kampf (R-Platte), während die 17 (Besiegte) für (tir), also für Sieg und Gerechtigkeit stehen.
Recht und Gerechtigkeit
Auf der unteren Bildleiste, linke Bildhälfte, erkennt man eine (dem Römerbild darüber zugeordnete) Gerichtsszene [a.e. dom, n.e. doom]. In der Mitte sitzt der Richter, was in der Regel der Sieger ist. Somit dürfte hier Titus auf seinem Hochsitz dargestellt sein, einen Becher in der Hand. Zu seinen Füßen hockt eine kleine Figur mit einer Rolle in der einen und einem Becher in der anderen Hand. Dies ist der "Þyle", der Sprecher des Herrschers, der an dessen Stelle mit den Parteien verhandelt.1 Es sieht so aus, als werde hier mittels einer Schriftrolle ein Vertrag geschlossen; vielleicht wird einem Helden ein Lehen als Belohnung übereignet. Der Feldherr wird dem Beschenkten zutrinken und damit den Vertrag besiegeln. Der Beschenkte erwidert den Zutrunk mit dem Becher des Þyle und versichert dem Lehnsherrn damit seine Treue.
Links vom Richterstuhl ist ein Krieger zu erkennen, der am Schopf ergriffen und festgehalten wird. Es dürfte ein Verurteilter sein, dem man die langen Haare - Zeichen des freien Mannes - abschneiden wird, wohl um ihn in die Sklaverei zu verkaufen. Vermutlich ist es ein Feigling oder Verräter aus den eigenen Reihen, denn damit wäre das Prinzip von Lohn und Strafe sinnvoll versinnbildlicht. Rechts auf dieser Bildleiste (dem Bild der Flucht zugeordnet) ist der Exodus der Geiseln [a.e. gisl] dargestellt. Unter diesen fällt einer auf, der eine Art Joch zu tragen scheint. Ein zelotischer Anführer? Gerechtigkeit ist der andere Aspekt der Rune . Die Geiselnahme als "Unterpfand" [*ghis-] für die Vertragstreue der Besiegten ist durchaus eine Fassette von Recht und Gerechtigkeit des Siegers.
Sieg: Gunst der Götter
Jener große Bogen mag sich schon auf der Vorlage für diese Schnitzerei gefunden und dort für den Tempel gestanden haben. Dort könnten Engel, Seraphim (schlangengestaltige, sechsflügelige Engel des AT) und Cherubim (geflügelte Engel mit Tierfüßen im AT) den Raum gefüllt haben. Hier hat eine "Tempelreinigung" stattgefunden, und eine Versammlung der mythischen Tiere der Walstatt ist an die Stelle der wesensähnlichen Gottesboten getreten, - so wie der Vogel auf dem Magierbild den Engel verdrängt.2
Die drei Tierpaare sind durch Knotenornamente miteinander verbunden, die als valknutr gedeutet werden können. Damit wäre auf einen dem Kriegsgott Wotan/Odin geheiligten Bezirk hingewiesen. Zu unterst sitzen, recht seltsam anmutend, zwei Pferde, während unter dem Bogen zwei Vogelköpfe in einem Knoten enden. Das Tierpaar dazwischen läßt sich von seiner Anatomie her nur schwer deuten. Wenn aber vor dem Hintergrund der martialischen Szene die Vogelköpfe als Wotan/Odins Raben, Hugin und Munin, gedeutet und die Pferde mit Tir (a.e. 'Tiw') in Verbindung gebracht werden könnten, dann liegt es nahe, nun wieder an die Wölfe Geri und Freki (R-Platte) zu denken. Ihre Schnauzen sind (gleich Schnäbeln) dekorativ langgezogen; aber ihre Ohren kennzeichnen sie doch als Säugetiere. Dem vergleichbar in Darstellung und Funktion ist die Tiersymbolik der Æ-Platte. Das Pflanzensymbol auf dem Bogen schließlich erinnert an das Zeichen der Walküre (vgl. Wielandbild) und hätte damit einen angemessenen Ort.3
Wenn also mit der Bilderfolge der Sieg bildlich beschworen wird, dann ist es angemessen, wenn die Götter, die ihn schenken, hier durch ihre Tiere vertreten, in das Zentrum gerückt werden. Dabei wird die Arkade ähnlich würdigende Bedeutung haben wie der Thron der Maria oder Odins Hochsitz Hlidskialf, der vermutlich auf dem Deckelbild abgebildet ist.
Mit dieser Darstellung haben wir, nach den Magiern und den römischen Zwillingen, das dritte Beispiel für eine heidnische Umdeutung klassischer Motive.
1 Zur Rolle des Þyle vgl. S. Pollington, The Mead Hall, S. 188
2 Die Arkade deutet Wadstein als Stadtmauer; Goldschmidt als reich geschmücktes Stadttor; Brown und Dalton als Tempel. Die Tiere sind nach Grienberger Löwen, Delphine und Schwanenköpfe; nach Bruce Dickins sind es "Rinder unter dem Meer" (1.Kön.7,44) und Cherubim. Vgl. Becker, Franks Casket, S.66f.
3 Das Zeichen ist eine florale Variante der Rune , die im ags. Runenlied eolhx heißt, und das ist ganz pflanzlich das Schilf bezeichnet, aber auch die Walküre. Diese Doppelbedeutung wird auch im Runenlied deutlich, wenn es heißt, daß es meist im Sumpf gefunden werde, im Wasser wachse, garstige Wunden reiße und jeden Krieger mit Blut überziehe, der es berühre.
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