Home Rückseite (T-Platte) - Die Inschrift: Titus

»Sigrúnar skaltu kunna, ef þú vilt sigr hafa«
Siegrunen sollst du kennen, wenn du willst Sieg haben

(Sigrdrífumál 8)

Der Runentext beginnt auf der linken Leiste und setzt sich auf der oberen fort, wechselt aber dort in eine (in Wort und Schrift) lateinische Passage über. Auf der rechten Seitenleiste setzt wieder die Runenschrift ein, das Wort selber (afitatores < lat. habitatores) ist aber verfälschtes, d.h. für diesen Zweck abgewandeltes Latein. Eine durchlaufende Zeile auf der Unterkante gibt es nicht, wohl aber finden sich in den Ecken dort zwei Wörter, welche die Bildteile zu kommentieren scheinen.

Nach Leisten gegliedert und in Wörter getrennt, lesen wir:

  her fegtaþ    
+-Runetitus end giuþeasu   Hi-RuneC FUGi-RuneNT Hi-RuneEr-RuneUS-RuneLi-RuneM [= hic fugiant hierusalim]
afitatores
dom gisl
   

Wie die parallele Struktur [her ... hic ...] andeutet, gliedert sich die Inschrift in zwei Verse mit gleichen Stäben (her/hic; fegtaþ/fugiant; giuþeasu/hierusalim)
1. Vers: Das Zeichen +-Rune ist in diesem Zusammenhang ohne Funktion, wenn es wohl auch magisch verstärkende Wirkung haben soll. Die Wörter giuþeasu (anstelle von ae. iuþeas) and afitatores (statt lat. habitatores) sind ungewöhnlich, werden aber so aus runenmagischen Gründen (Anlaut, Runenzahl und -wert) gebildet worden sein.2 Da aber, wie wir schon bei den Versen vom Wal (F-Platte) festgestellt haben, Besitz [f-Rune] (hier die Kriegsbeute) und Gaben [g-Rune] an das Gefolge Voraussetzung für den Sieg [t-Rune] des Herrschers3 sind, hat der Runenmeister diese drei Anlaute gewählt, wobei er mit giuþeas statt iuþeas den Namen für seine Zwecke umgelautet hat. Er wiederholt also das Muster, das er bei der Formulierung des Textes der R-Platte - linke Seite bereits benutzt hat.4

2. Vers: Zunächst seltsam ist der Einschub eines in Wort und Schrift lateinischen Textteils. Bei genauerem Hinsehen bemerken wir allerdings mehrere Buchstaben in den lateinischen Wörtern, die entweder eindeutig Runen sind (r-Rune und S-Rune) oder als solche angesehen werden könnten, hier das Zeichen (i-Rune). Daneben erscheint zweimal das a, und zwar nicht als lat. A, sondern in der Form einer Majuskel , wie man sie in Manuskripten (z.B. Lindisfarne) findet.

Die Übersetzung ist problemlos und (mit Ausnahme von her) unstrittig:

  "Hier kämpft" oder: "(Das) Heer kämpft"
Titus und die Juden - HIER FLIEHEN JERUSALEM(s)
Einwohner
Urteil (oder: Macht, Ruhm) - Geisel

Blicken wir zunächst auf die linke Leiste: Auch hier stehen 9 Runen, die (wie auf der F- und R-Platte) vermutlich als magische Formel zu verstehen sind. der Runenwert der insgesamt 27 Runen beträgt 330 (30 x 11) dem auf der H-Platte, rechte Leiste, 9 Runen mit dem Wert 110 gegenüberstehen.
Was meist mit "hier kämpft" übersetzt wird, könnte auch als "das Heer kämpft" verstanden werden; vgl. en. 'army', d. 'Heer', a.e. 'here'). Etwas abstrakter, als magische Formel oder Inkantation verstanden) heißt das: "Im Kriegsfall". Da die F- und R-Platte ihren Texten solche textlich unabhängigen Formeln voranstellen, ist eine solche Deutung um so wahrscheinlicher.

Dieser 9-Runen-Formel folgt auf den anderen Seiten die thematische, magische Rune, f-Rune bzw. r-Rune, während hier t-Rune steht. Diese speerförmige Rune trägt den ags. Namen Tir, Tiw (alt-nordisch Tyr). Sprachlich mit Zeus verwandt, vertritt dieses Zeichen den obersten Gott, also den, der Herrschaft, Kriegsführung und Rechtsprechung sichert, was ihn zum Schutzherrn des germanischen Things macht. Im Altenglischen ist sein Name gleichbedeutend mit "Ruhm und Ehre", was übrigens auf dieser Platte auch mit dom (Gerechtigkeit, Ruhm) zum Ausdruck kommt.

Kriegsführung und Rechtsprechung sind die Inhalte der Darstellung, dom in seiner Doppeldeutigkeit ergänzt die Aussage. Keine andere Rune könnte besser zu dem Bild passen, kein Bild besser zu der Rune! Das andere Wort der Bodenleiste, gisl, kommentiert die Abführung der Geiseln, eine mögliche Form der Kriegsbeute. Beide Wörter können aber auch als Kryptogramm für den (auch sonst belegten) Namen DOMGISL verstanden werden. Da Runenmeister die Magie ihres Werkes oft durch die Ritzung ihres Namens zu steigern suchten, könnte es durchaus der Name unseres Erilaz (gelegentlich gebrauchter Name eines Runenkundigen)sein.

Warum wechselt der Text in Wort und Schrift zum Lateinischen über? Und wenn schon, warum nur ein paar Wörter, nicht aber der ganze Satz? Sollten bestimmte Runenzahlen und -werte eingehalten werden? Das würde die Verwendung einzelner Runen [S in der Sonderform S-Rune, das R in der Ausführung r-Rune, sowie viermal I, gleich mit der Rune i-Rune] erklären. Wenn zudem noch eine Verbform falsch gebildet wird (fugiant statt fugiunt), und wenn dies mit Hilfe einer vom ABC abweichenden Buchstabenform (Majuskelschrift) geschieht, dann dürfte auch dahinter eine weitere, aber nicht runenmagische Absicht stehen.

Die Antwort ergibt sich aus der Auswertung aller Inschriften nach Runenzahl und Runenwert. Diese hat der Schnitzer so berechnet, daß sie funktional auf seine Zauberformeln einwirken und dem Schützling hier Sieg und Ruhm bescheren. Damit diese Beschwörung von Dauer ist, unterlegt er dem Zauber eine Kalenderfunktion· 5 die er über den Zahlenwert des lateinischen Textteils fortzuschreiben sucht. Er schafft so einen "Luni-Solaren Kalender", der die Beschwörung vorantreibt und nicht enden läßt. Diese Formel entspricht dem 19-Jahre-Zyklus, wie ihn der Grieche Meton 432 v. Chr. einführte; sie beinhaltet aber auch den bäuerlich-germanischen 8-Jahre Zyklus. Diese Formeln dienen der "Synchronisation" des solaren Kalenders mit dem lunaren.


1Derselbe Grund gilt wohl auch für die Verwendung zweier unterschiedlicher Schreibungen für ein und dasselbe Wort: hier die ungewöhnliche Form end, während sonst (linke und rechte Platte) aber and für "und" steht.

3 Letztlich bezieht sich die Rune t-Rune nach dem Runenlied auf den Herrscher selber: "[(Tir) ist ein Leitstern, gut hält er seine Treue..."

4 Dort heißt es: ... twoegen gibroðær a* // foeddæ ...

5 Thomas Macho: Zeit und Zahl. Kalender- und Zeitrechnung als Kulturtechniken, in: Sybille Krämer/Horst Bredekamp (Hrsg.): Bild - Schrift - Zahl, München (Wilhelm Fink) 2003, 179-192. Dazu: Thomas Macho: Zeit und Zahl - Kalender- und Zeitrechnung als Kulturtechniken

 

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