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Oder: ... auf den Inhalt kommt es an! Die ungewöhnliche Bilderwahl - von biblisch christlich über klassisch historisch und mythisch bis heidnisch germanisch - hat die Gelehrten der verschiedensten Fachgebiete beschäftigt und zu manchen kühnen Spekulationen verführt. Der Schnitzer hätte seine helle Freude! Doch wenden wir uns den Darstellungen zu und beschränken uns zunächst auf das Unstrittige.
So zeigt die Vorderseite (F-Platte) zum einen Wieland (Wayland (Weyland, Wolund, or Weland)), den gefangenen albischen Goldschmied, der hier mittels grausamer Rache und der Hilfe seiner Gefährtin, einer Walküre, seine Freiheit zu erlangen sucht. Scheinbar unpassend zu dieser mythischen Gräueltat steht daneben das Motiv der Anbetung Christi durch die Magier (Magi), die sogenannten 'Heiligen Drei Könige'. Gemeinsames Thema aber ist das Gold: Während Wieland als „weiser Goldschmied“ (so König Alfred) berühmt ist, stehen die Magier für wahrhaft königliche Gaben, Gold, Weihrauch und Myrrhe. Die Kleinodien, mit denen die Gefolgsleute geehrt werden, fertigt ja der Schmied; und Wieland ist der Schöpfer goldener Die linke Seite (R-Platte) bietet eine recht ungewöhnliche Darstellung der römischen Zwillinge, der Dioskuren Romulus und Remus. Statt der einen lupa (Wölfin) verweilen hier zwei Wölfe, und statt des Hirten Faustulus mit Krummstab bei der Höhle am Tiber, knien hier in einem Wald vier speerbewaffnete Krieger bei den Brüdern und ihren wölfischen Begleitern wie in Anbetung nieder. Anders als auf der Vorderseite steht diese umlaufende Inschrift in Bezug zu dieser Darstellung. Sie alliteriert auf R, natürlich in der Form der Rune . Damit ist der ‚Ausritt’, in den Kampf vielleicht, gemeint.
Auf der Rückseite (T-Platte) sehen wir, das verrät die Inschrift, den römischen Feldherrn und späteren Kaiser Titus, der hier Jerusalem im Kampf gegen die Juden erobert, den Gegner in die Flucht schlägt, Gericht hält und Geiseln nimmt. So geschehen im
Weit weniger eindeutig ist die Aussage der rechten Seite (H-Platte). Sie ist aus drei Bildelementen aufgebaut und berichtet, wie es scheint, von einer herh-os, einer Waldgottheit, und vom Tod eines Kriegers. Zunächst begegnet der Held einem seltsamen Mischwesen mit menschlichen und animalischen Zügen; dann erkennen wir eine Frau an einem Grab; schließlich sehen wir eine Dreiergruppe, wo die beiden äußeren Kapuzenträger die mittlere Figur zu ergreifen scheinen. Geheimnisvoll ist auch der Text, der in einer Art runischer Geheimschrift Der Deckel (Æ-Platte) schließlich zeigt eine Kampfszene, die Verteidigung eines befestigten Bezirks. Ein Bogenschütze, Ægil(i), behauptet die Stellung gegen eine feindliche Schar, eine Gruppe teils übergroß dargestellter Angreifer. Dem Bogenschützen hilft ein Wesen, das unter eine Arkade (auf einem Hochsitz?) platziert ist. Außer dem Namen des Schützen, Ægil, findet sich hier keine weitere Inschrift, welche die Szene deuten könnte. Wohl aber können Symbole – Zinnen, Tierköpfe und Odinsknoten – auf den Ort der Handlung hinweisen. Dir Rune steht für die ‚Esche’, die nach dem Runenlied für hartnäckige Verteidigung steht.
Da Formen szenischer Darstellung in der traditionellen heidnischen Kunst kaum entwickelt waren und da einige derartige Motive des Kästchens deutlich der klassischen bzw. der christlichen Tradition entnommen sind, schien die Frage beantwortet: Eine Arbeit mit solchen Bildern ist ein Produkt religiösen Kunsthandwerks und ist dann entweder Reliquiar oder Tragealtar, also ein Kleinod aus kirchlichem oder klösterlichen Besitz. So ist es fast akademische Tradition, dem Heidentum keine, dem Christentum aber jede kulturelle Leistung zuzuschreiben, was um so leichter fällt, da die junge Kirche überkommene Kulturgüter entweder vernichtete oder aber sich diese, in ein christliches Gewand gekleidet, aneignete. Und so schien und scheint das Bild von der Anbetung Jesu, das einzige biblische Motiv auf dem Kästchen, die religiöse Zuordnung der Schnitzerei zu rechtfertigen, wenn auch keine der vier Inschriften eine solche Folgerung nahelegt. Schaut man genauer hin, so ist die christliche Formel doch stark heidnisch adaptiert.
So macht ein scheinbar christliches Motiv allein das Kästchen nicht notwendig zum geweihten Gegenstand, insbesondere dann nicht, wenn Heilige nebst Namen und Abbild - unabhängig von jeder religiösen Bedeutung - auch von Nichtchristen geschätzt wurden. Ihnen ging es um den Beistand der weitgereisten, gabenbringenden 'Magier'. Und dieses Wort (in seiner ags. Form mægi) ist in das Bild eingearbeitet, - weniger als Erklärung, mehr als „Zitation“. Noch heute sucht man in katholischen Gegenden ihren Schutz und schreibt z.B.
Wieland, der Goldschmied und die goldbringenden Magier verheißen Reichtum, worauf auch die alliterierenden
F-Platte: Gehörte das Kästchen also einem weltlichen Kriegsherrn, dann mag der sich von den gabenbringenden Sterndeutern Wohlstand – den der Goldschmied schafft – erhofft haben, wobei er sich mit den Beschenkten, der heiligen Familie also, verglichen haben mag. Aus dieser Position heraus verteilt er in der Halle seine königlichen Gaben, feohgift.
Der Inhalt dieses Kästchens, das ein früher angelsächsischer König auf seinem Hochsitz in der Halle wohl auf seinem Schoß hielt, wird also jenes Gold
1 Diese Deutung beruht auf der nachfolgenden Interpretation. Andere Betrachter, wie Leslie Webster oder Ute Schwab, liefern ansprechende Bildinterpretationen, die jene Szenen deuten, aber deren magisch-emblematischen Charakter ignorieren. |
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