Home Magie: Zauber mit Runen und Zahlen

Oder: ... berechnende Worte klug berechnet

Wenn man heute von „Magie“ spricht, denkt man gewöhnlich an Zauberei, bei der die Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden. Im Mittelalter aber verstand man „Magie“ im Sinne von Macht, Fähigkeit (ags. magan = können; mæg = er kann), wenngleich es sich hier auch nur um die gemeinsame indogermanische Wortwurzel handelt. [Das Wort Magie (gr. μαγεία, mageía) geht auf das Wort Magoi (gr. Μάγοs = Weiser) zurück. Ein Stamm, der als Mager (gr. Μάγοι), bezeichnet wurde, lebte im Altertum im Nordwesten des heutigen Irans. Nach dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot (490 bis ca. 425 v. Chr.) waren unter ihnen besonders viele Weise, die sich mit Traumdeutung und Astrologie beschäftigten. Der Begriff Magoi (gr. Μάγοι) wurde deshalb synonym mit Weiser verwendet (Wikipedia)]
Hinter den konkreten Dingen vermutete man verborgene Kräfte, die ihre Art bestimmen1. Es müßte also möglich sein, Macht über die Dinge zu gewinnen, wenn man die Formeln kennt, denen sie gehorchen. So schrieb man den Runen, die als Begriffe für die realen Dinge (Erscheinungen) stehen, dieses Vermögen zu. Da das Zeichen das Ding an sich vertritt, wird man es für realer gehalten haben als die einzelne Erscheinung. So steht die t-Rune t-Rune für den Sieg generell, während der Sieg des Titus über die Juden nur eine ihrer Erscheinungen ist.
Und da diese Runen eine zahlenmäßig definierbare Position in der Runenreihe haben, gewinnt auch die Zahl als Ordnungsprinzip magische Qualität. So hat man nun die 24 Runen des fuðark in drei Gruppen zu je 8 Runen (ætt, pl. ættir) gegliedert, um so die Dinge zu definieren. Im konkreten Fall steht die Rune t-Rune an 17. Stelle der Runenreihe. Sie ist also im dritten ætt die erste Rune (3/1)2 und hat den Wert 17.
Das System der 24 Runen definiert also die Dinge nach Namen, Anzahl und Wert der Runen.

Aber noch einmal von vorne:
Die germanische Runenreihe, fuþark, setzt sich aus 24 Runen zusammen, wobei jede Rune gleichsam für eine Sache steht, ja fast mit ihr identisch ist. So heißt die f-Rune im angelsächsischen Runenlied feoh, das altenglische Wort für 'Vieh'. Da dies das frühste Zahlungsmittel war, bezeichnet das Wort schließlich jeglichen beweglichen, also geldgleichen Besitz. Eine andere Rune steht dagegen für die Immobilie, den Grundbesitz. Die g-Rune heißt gifu, Gabe, eine wichtige Einnahmequelle in jenen Tagen, als Gehälter noch unbekannt waren. Und da man all diese 24 Zeichen für magisch wirksam hielt, bildeten sich ganz bestimmte Ritztechniken heraus, um deren Kraft zu nutzen. Das konnte die Mehrung des Besitzes durch den Empfang von Gaben betreffen, ebenso auch Gesundheit oder göttlichen Beistand im Kampf. Neben den Segenswunsch tritt der nach Abwehr von Schaden, aber auch der Schadenszauber gegen ungeliebte Mitmenschen.

Die Anzahl der Runen (24) im sog. älteren fuþark ergibt sich nicht etwa aus der Zahl der erforderlichen Laute, sie ist vielmehr zahlenmagisch begründet. Neben der 11 sind besonders 3, 4 und 8 wirksame Zahlen, und mehr noch die Produkte dieser Zahlen (24, 48, 72 etc. bzw. 240, 480, 720 usw., aber auch 3, 9 etc., 30, 90 etc. bzw. 300, 900 usw.). So ist es nicht verwunderlich, daß die Runenreihe in 3 Gruppen (ættir) zu je 8 Runen (ætt) aufgeteilt ist. Zählt man die Zahlen 1 bis 24 zusammen, erhält man den Runenwert 300. Allerdings dürfte jede Zahl eine Bedeutung gehabt haben; und so müssen wir aufpassen, daß wir Zufall und Absicht nicht verwechseln.

In der runischen Praxis heißt dies: Inschriften, zusammengesetzt aus 9, 24, 48, 72 usw. Symbolen, können in magischer Absicht so abgefaßt sein. In die Runenzahl sind aber auch in den Text eingefügte Punkte (Zahl und Wert je 1) einzubeziehen. Sie wurden gelegentlich notwendig (F-Platte), um bestimmte Runenzahlen oder -werte zu erreichen; denn neben der Runenzahl kann auch der Runenwert magisch wirksam sein. Im fuþark stehen also f für 1, u für 2, þ für 3 usw. Alle Werte miteinander addiert, ergeben die Gesamtsumme 300. Wenn sich also im Idealfall eine Inschrift aus 72 Zeichen (Runenzahl) zusammensetzt, die den Wert 720 (Runenwert) ergeben, dann dürfte zweifelsfrei runenmagische Absicht vorliegen3. Und genau dies finden wir auch auf dem Runenkästchen. Und mehr! - Später.

Mit dem Lautwandel entwickelte sich das germanische fuþark zum anglofriesischen fuþorc, das zunächst 27 (3 x 9) und später 33 (3 x 11) Runen aufwies. Dennoch hat sich die auf 3x8 basierende runenmagische Praxis erhalten, wobei auch 9 und 11 besondere magische Qualität hatten.

Wie noch zu zeigen ist, entwickelte der Runenmeister mit seinen zahlenmagischen Praktiken eine Perfektion, die unsere Fähigkeiten am Taschenrechner auf eine harte Probe stellen.


1 Dazu H. Birkhan, Magie im Mittelalter (München 2010) Danach sind Magie und Mantik eine Auffassung vom inneren Zusammenhalt des Kosmos und der ihn bestimmenden Kräfte.

2 Zu den ætir vgl. K. Düwel, Runenkunde (2001), S.182 ff, Verschlüsselungen und Geheimrunen - runische Kryptographie.

3 Heinz Klingenberg (Runenschrift – Schriftdenken – Runeninschriften, Heidelberg 1973) untersuchte die Vorderseite des Franks Casket auch auf ihren Runenwert hin und ermittelte - so wie unabhängig von ihm auch wir - den Wert 720. Eine weiterführende Untersuchung der übrigen Inschriften auf deren Werte hin, nahm er nicht vor.

 

previous: Nordhumbrien im 7. Jahrhundert Nordhumbrien im 7. Jahrhundert Programm: Reliquiar oder Schatzkiste? next: Programm: Reliquiar oder Schatzkiste?

Quelle: https://www.franks-casket.de Page Top Page Top © 2023 email
Impressum   Datenschutzerklärung