Home Nordhumbrien im 7. Jahrhundert

Oder: ... von Helden, Heiligen und heiligen Helden

Dieses Königreich im Nordosten Englands entstand aus dem Zusammenschluß der beiden Teilreiche Deira und Bernicia. Diese ehemals britischen Herrschaftsgebiete kamen im 6. Jh. unter die Kontrolle einer Minderheit heidnischer, angelsächsischer, d.h. englischer Siedler. Wenn es hier christliche Gemeinden gegeben haben sollte, dann waren sie in ihrer Organisation und in ihrem Ritus von irischen Klöstern wie Iona oder Bangor geprägt.

Als im Jahre 625 König Edwin (617 - 633) eine christliche Prinzessin aus Kent heiratete, kam mit ihr der von Rom entsandte Mönch Paulinus, später der erste Bischof von York, ins Land und nahm die Mission auf. Dadurch gewann die römische Kirche an Einfluß. Edwin war der erste nordhumbrische bretwalda, also 'Herrscher über Britannien'. Als Ausdruck seiner weltlichen Macht wurde der alte Königssitz Yeavering ausgebaut, und dort dort (zu anderen Zeiten auch auf Bamburgh) hielt der König Hof, wenn er nicht gerade (peripatetisch) von Landsitz zu Landsitz reisend regierte.

Yeavering war eine weitläufige, durch hölzerne Palisaden gesicherte Anlage mit einer großen königlichen Halle und einem später zum Gotteshaus geweihten Tempel, daneben Hütten und Lagerhäuser. Bis 685 blieb es die Residenz der nordhumbrischen Herrscher, wenn auch wesentliche Gebäude in Schutt und Asche fielen, als 633 Edwin im Kampf gegen die Allianz des keltischen Cadwallon von Wales mit dem angelsächsischen Penda von Mercia erschlagen wurde und die Sieger brandschatzend und mordend das Land verwüsteten.

Paulinus floh vor diesen ungleichen heidnischen Verbündeten, was zugleich das vorläufige Ende des römisch katholisch geprägten Christentums bedeutete. Aber ein Jahr später stellte König Oswald mit seinem Sieg über den Briten Cadwallon, König von Gwynedd, die englische Oberherrschaft wieder her. Die Briten waren den angelsächsischen Einwanderern endgültig unterlegen. Als neuer Bischof kam Aidan vom irischen Kloster Iona nach Nordhumbrien. Dieser zog die Abgeschiedenheit Lindisfarnes dem Yorker Bischofsitzes seines römischen Amtsbruders vor.

Nach gerade 8 Jahren Herrschaft, am 5. August 642, fiel Oswald, 38jährig, in der Schlacht bei Maserfelth gegen seinen alten Widersacher, den heidnischen Penda von Mercia. Dieser ließ den königlichen Leichnam verstümmeln und so zur Schau stellen. Der Kampf gegen den Heiden machte den unglücklichen Verlierer zum christlichen Märtyrer und Heiligen, dessen Kopf und Gliedmaßen als wundertätige Reliquien gehandelt wurden. Kein Wunder also, daß diesem Heiligen mehr als die anatomisch zulässige Zahl an Extremitäten zugeschrieben wurde! Und Yeavering wurde abermals niedergebrannt.

Wenig christlich verfuhr sein Bruder Oswiu, um die Einheit Nordhumbriens durch Heirat (mit Eanfled, Edwins Tochter) und Mord (an Oswin, König von Deira) erneut herzustellen. Und wieder intervenierte Penda von Mercien, der in verschiedenen Kriegszügen auch die königliche Festung Bamburgh belagerte und schließlich niederbrannte. Eigentlich war Oswius Lage aussichtslos, als er im November 655 von Penda und dessen Verbündeten gestellt wurde. Aber der Himmel stand ihm bei: Heftiger Regen löste eine Flutwelle auf dem Humber aus, die soviel Verwirrung unter den Verbündeten stiftete, daß Oswiu sie schlagen konnte. Penda fiel, und mit seinem Tod kam das Ende von Mercia.

Ecgfrid, Oswius jüngster Sohn und späterer Thronerbe, hatte als Geisel am Hofe Pendas gelebt und war hier sicher auch mit den heidnisch germanischen Bräuchen bekannt geworden. Zu eben dieser Zeit gingen Benedict Biscop, der Gründer u.a. des Doppelklosters Wearmouth und Jarrow, und sein Freund Wilfrid, später auch Bischof in Hexham, auf ihre erste Romreise, der noch mehrere folgen sollten. Sie brachten neben wertvollen Büchern und Kultgeräten (darunter eine Unzahl eher wertloser Reliquien) auch römische Geistliche, so den Erzkantor der Peterskirche, genannt John, aber auch gallische Handwerker, so Steinmetze und Glasbläser, mit. Dem Einfluß des Kantors ist es wohl zuschreiben, daß an den keltisch orientierten Klöstern mit dem gregorianischen Gesang auch römischer Kirchenbrauch und römisches Klosterwesen Fuß faßten.

Um den Streit beizulegen, wurde 662 die Synode zu Whitby einberufen. Colman, der Bischof und asketisch lebende Abt von Lindisfarne vertrat die irische Position, der weitgereiste und weltgewandte Wilfrid die römische. Zum einen ging es um die zeitliche Festsetzung des Osterfestes, zum anderen um die Form kirchlichen und klösterlichen Lebens. Während die irische Praxis,ausgerichtet an der columbanischen Regel, eher weltabgewandt und asketisch wirkte, folgte die römische der benediktinisch, pflegte die römische mehr Macht- und Prachtentfaltung in dieser Welt. Oswiu, selbst irisch geprägt, entschied letztlich für die römische Seite und ermöglichte damit die kirchliche Einheit Englands.

Die klösterlichen Gemeinschaften gewannen an Macht und Einfluß und suchten in ihren Bauten und deren Ausstattung, in Kunst, Kultur und klösterlicher Lebensform den Anschluß an den Kontinent. In einer ihrer Bibliotheken mag der runenkundige Schnitzer des Kästchens Bildvorlagen für seine Arbeit gefunden haben.

Als Oswiu 670 stirbt, kommt der nun 25jährige Ecgfrid an die Macht. In seine Regierungszeit fallen Benedicts letzten drei Reisen nach Rom, wohin es auch Wilfrid aus mehr egoistischen Motiven treibt. Letzterer zieht sich allerdings wegen seiner Einflußnahme am Hof und seiner Prunksucht den Zorn des Königspaares zu. Seine Diözese, praktisch das ganze Land, wird aufgeteilt, er gerät in Haft und wird schließlich verbannt. Erst nach dem Tod des Königs wird er an einen - nun erheblich kleineren - Bischofssitz zurückkehren.

Nordhumbrische Mönche missionieren den Norden Germaniens; Heiraten und Handel festigen die Verbindung zum Merowingerreich und darüber hinaus. Nordhumbriens goldenes Zeitalter ist auf seinem Höhepunkt, wendet sich aber mit diesem König auch dem Ende zu. Nach Berths mörderischen Beutezug gegen friedfertige Iren (684) überfällt Ecgfrid 685 seine nördlichen Nachbarn, die Pikten. Wie Cuthbert schon vorausgesehen hatte, werden die Nordhumbrier bei Nechtansmere vernichtend geschlagen, ihr König fällt.

Mit Aldfrid (685 - 705) folgt ihm ein frommer, friedfertiger und feinsinniger Herrscher auf den Thron. Die Kirche beeinflußt das öffentliche Leben so sehr, daß die jungen Männer sich eher dem Kloster als dem Königshof zuwenden. Die Helden verlassen die Halle.

 

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