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Der anglische Lunisolarkalender Mein Freund im Geist der Materie, Dr. Andreas Zautner, Verfasser des Sachbuches: Der gebundene Mondkalender der Germanen (2017), hat diesen Aufsatz beigesteuert, der dem Leser die gewünschten Hintergrundinformationen zum Kalenderwesen vermittelt.
Um die Innschrift des Runenkästchens von Auzon in seiner Gänze verstehen zu können, ist es wesentlich, auch den Kalender der damals noch zu weiten Teilen heidnischen Angeln zu kennen.
Die wichtigste Quelle für diesen Lunisolarkalender wurde von dem Benediktinermönch Beda Venerabilis, d.h. „Beda dem Ehrwürdigen“ verfasst. Beda wurde 672/673 in der Nähe der Stadt Wearmouth in Northumbrien, also in der Region, aus der das Runenkästchen stammt, geboren. Er war in seiner Zeit einer der bekanntesten Oster-Computisten, d.h. sein wichtigstes Anliegen war die international einheitliche Berechnung des beweglichen Osterfesttermines. Am 26. März 735 ist Beda Venerabilis im Kloster Jarrow verstorben. Wann immer ein gemeines Jahr war, gab es drei Mondmonate zu jeder Jahreszeit. Wenn jedoch ein Schaltjahr (das heißt, ein Jahr von 13 Mondmonaten) war, wiesen sie den zusätzlichen Monat dem Sommer zu, so dass insgesamt drei Monate den Namen Litha trugen. Aus diesem Grunde nannten sie diese Schalt-Jahre Thrilithi. So hatte ein solches Schaltjahr vier Sommermonate, bei den üblichen drei Monaten für die anderen drei Jahreszeiten. Aber ursprünglich teilten sie das Jahr als Ganzes in zwei Jahreszeiten, Sommer und Winter. Die sechs Monate, in denen die Tage länger sind als die Nächte, ordneten sie dem Sommer zu und die anderen sechs, [in denen die Nächte länger sind als die Tage], dem Winter. Daher nannten sie den Monat, in dem die Winterzeit begann, Winterfylleth, ein Name der sich aus „Winter-“ und „Vollmond“ zusammensetzt, da der Winter mit dem Vollmond dieses Monats begann. Nun ist es eigentlich unerheblich, ob wir uns die Mühe machen, die Namen der anderen Monate zu übersetzen ... Die Monate Giuli leiten ihren Namen von dem Tag ab, an dem die Sonne (im Winter) wendet und sich wieder zu erheben beginnt, denn einer dieser Monate geht diesem Tag voran und der andere folgt diesem Tag. Der Solmonath kann auch als „Monat der Kuchen“ betitelt werden, nach den Kuchen, die sie ihren Göttern in diesem Monat anboten. Der Hrethmonath ist nach ihrer Göttin Hretha benannt, der sie in dieser Zeit opferten. Der Eosturmonath hat einen Namen, der heute als Passahmonat (Passah ist eine hebräische Bezeichnung für das jüdische Frühlingsfest) übersetzt würde. Er leitet sich ursprünglich von einer ihrer Göttinnen ab, welche Eostre genannt wurde und zu deren Ehren Feste in diesem Monat gefeiert wurden. Jetzt benennen sie die Passahzeit mit ihrem Namen, womit nun die Freuden der neuen Feierlichkeit mit dem Namen der altehrwürdigen Göttinnen geehrt werden. Thrimilchi wurde so genannt, weil in diesem Monat das Vieh dreimal täglich gemolken wurde. Zu dieser Zeit war die Fruchtbarkeit in Großbritannien oder Deutschland, von wo aus das Volk der Angeln nach Britannien kam, [am größten]. Litha bedeutet soviel wie „sanft“ oder „schiffbar“, weil in beiden Monaten die Lüfte still und sanft sind (Flaute). Darum pflegten sie zu dieser Zeit auf der glat- ten See zu segeln. Weodmonath bedeutet „Kraut-/Gras-Monat“, denn dieses sprosst sehr zahlreich zu dieser Zeit. Halegmonath bedeutet „Monat der heiligen Riten“. Winterfylleth kann mit dem erfundenen, zusammengesetzten Nennwort „Winter-voll“ [Wintervollmond; s.o.] bezeichnet werden. Blotmonath ist der „Monat der Opferungen“, denn das Vieh, das dann geschlachtet wurde, war ihren Göttern geweiht. Jesu Christi sei Dank dafür, dass er uns von diesen Nichtigkeiten abbrachte und uns [die Gnade] gewährte, ihm das Opfer unserer Lobpreisung darzubieten. (Übersetzung aus „Der gebundene Mondkalender der Germanen, ISBN 978-3-946425-44-1, Kommentare aus dem Englischen nach Wallis, 1999) Bevor ich (nochmals) auf die einzelnen Namen der Monate eingehe sei gesagt, daß es noch eine weitere jedoch aufgrund von Brandschäden unvollständige Auflistung der anglischen Kalendernamen in der sogenannten Biblioteca Cottoniensis gibt. George Hickes hat diese 1705 unter dem Titel Antiquæ litteraturæ septentrionalis libbri duo, I: linguarum vet. sept. thesaurus der Öffentlichkeit zugängig gemacht. Er datiert das Kalenderfragment auf das Jahr 1031, womit es gut 300 Jahre jünger ist als der von Beda Venerabilis überlieferte Text. Die von George Hickes unter Zuhilfenahme von Bedas Schrift ergänze Monatsnamenreihe liest sich folgendermaßen:
Winterfylleth bedeutet, wie es Beda schon gesagt hat, Winter-Vollmond. Der Monat selbst begann natürlich, wie alle anderen Monate auch, mit einer Neumondsichel, die innerhalb von 14 Tagen zu einem Vollmond zunahm, an dem der Beginn des Winters und das neue Jahr befeiert worden sind. Aus dem Skandinavischen kennen wir auch den Begriff Winternächte (Altnordisch: vetrnætr). Zu diesen Winternächten wurden, wie überliefert, Erntedankfest-ähnliche Feierlichkeiten abgehalten, der Ahnen gedacht und weiblichen Gottheiten, den Disen, gehuldigt. Auch in den deutschen Realglossaren wird dieser Monat als Wintermonat bezeichnet. Zeitlich entspricht der Winterfylleth am ehesten dem Oktober. Der Blotmonath folgt auf den Wintervollmond. Der Begriff „Blót“ ist heute ausgestorben. Seine Bedeutung umfasst in etwa die Begriffe opfern, schlachten, heiligen und stärken. Etymologisch besteht eine Verwandtschaft zu dem Wort plustern/aufplustern. Die Grammatik des Verbes „blótan“ ist für moderne Menschen etwas gewöhnungsbedürftig, da das geopferte Tier hier ein Dativobjekt ist, während die Gottheit, der das Opfer gilt ein Akkusativobjekt ist (Beim Verb opfern ist es umgekehrt.). In der Regel „blotete“ man eine Gottheit mit dem Opfertier, das bedeutet man stärkt – mehrt die Macht der Gottheit (aufplustern) durch das Schlachten eines Opfertiers. D.h. ein heidnischer Angelsachse blotete z.B. Woden mit einem Pferdeopfer. Heute würde man stattdessen eher sagen, daß der heidnische Angelsachse dem Woden ein Pferd opferte. Dieses Schlachten fand in etwa in der Vollmondphase des Novembers statt. Auch in Schweden, Dänemark, den Niederlande und Deutschland ist der Schlachtmonat als Namenssynonym für November überliefert.
Die nächsten beiden Monate tragen bei Beda den Namen Giuli oder Geola. Das Textfragment der Biblioteca Cottoniensis unterscheidet hier zwischen einem frühen Geola (ærra géola) und einem späten Geola (æftera géola).
Etymologisch handelt es sich hierbei um eine Bezeichnung für das noch in den nordischen Ländern bekannte Jul oder Julfest. Jul ist eigentlich ein Plural-Begriff und bedeutet so viel wie Festlichkeiten. Wie Beda schreibt, sind beide Monate irgendwie mit der Wintersonnenwende verknüpft, die er als Mütternacht (Modranecht) bezeichnet. Aufgrund von Bedas Ausführungen ist anzunehmen, daß in der Nacht der Wintersonnenwende weibliche Gottheiten, ähnlich den Matronen, bei den heidnischen Angeln verehrt worden sind. Bei Beda folgt nun ein etwas unklarer sogenannter Hrethmonath, den er einer Göttin namens Hretha zuschreibt, die jedoch außerhalb seiner Ausführungen nicht bekannt ist. Die Vorsilbe hréð- finden wir u.a. in hréðgotan (Hréð-Goten im Beowulf-Epos) was jedoch etymologisch auch schwer zu deuten ist. Ggf. besteht hier eine Beziehung zu einem Monatsnamen den wir in Appenzeller Chronik finden: Redmanot. Nach Karl Weinhold leitet dieser Monatsname von althochdeutsch hradi/redi bzw. altenglisch hrað/hreð ab und damit besteht eine Verbindung zu rebig, räbeln, rührig und sich rühren, was auf ein Erwachen in der Natur anspielt. Bei George Hickes finden wir einen ähnlich klingenden Monatsnamen: Hlyda oder Hlydmónað. Diesen Namen kann man als „Monat der laut tosenden Gießbäche“ übersetzen, was zumindest den Tauwasser-Anteil an der erwachenden rebigen Natur widerspiegelt. Verhältnismäßig einfach zu deuten ist der Eosturmonath. Für den deutschen Leser ist dies sofort als Monat des Osterfestes zu erkennen. Das kommt daher, daß die Bezeichnung Ostern für das christliche und damit ursprünglich jüdische Passah-Fest durch angelsächsische Missionare nach Deutschland gekommen ist bzw. aufgrund der angelsächsischen Mission ist der gemeinsame vorbestehende Begriff beibehalten worden. Der Monatsname ist jedoch von einem heidnischen Vorläufer des christlichen Osterfestes abgeleitet, das zu Vollmond dieses Monats gefeiert wurde. Das anglische Osterfest ist damit auch der Beginn der zweiten Jahreszeit – des Sommers. Auch in Skandinavien ist dieses Fest als Várblót – Fühlingsopfer, oder Summarmála – Sommerbeginn bekannt gewesen. Beda führt den Namen auf eine heidnische Frühlingsgöttin Eostre zurück. Ihr Name kann als „die östliche Göttin“ verstanden werden und verweist wohl auf eine Göttin die im Osten der Grafschaft Kent verehrt worden ist, jedoch höchst wahrscheinlich einen anderen Hauptnamen hatte (Shaw, 2011). Jürgen Udolph führt den Namen des Osterfestes auf das mittelniederdeutsche Verb osen für schöpfen oder schütten zurück. Im Kontext der sprachhistorischen Belege war der Fühlingsanfang wohl auch ein heidnisches Fest mit einer Wasserweihe im Sinne eine Besprengung mit geweihtem Wasser (Udolph, 2011).
Den Mai bezeichnet Beda als Thrimilchi – Die Weidetiere hatten in dieser Zeit ihre Jungen geboren und konnten in dieser Zeit dreimal gemolken werden. In der Biblioteca Cottoniensis finden wir nur noch den Begriff Maiusmónað – also keinen ursprünglich altenglischen Monatsnamen.
Mit diesem Merkspruch wird eine Schaltregel umschrieben, die bei den Griechen auch als Oktaeteris bekannt war.
Wenn man einen solar fixierten Kalender, mit durchweg 30-Tage Monaten als Bezug nimmt, dann ist das Mondjahr 11 1⁄4 Tage kürzer als das Sonnenjahr. Demnach wandern die Mondmonate im Bezug zum Sonnenkalender – mit jedem Jahr aufgerundet – zwölf Tage vorwärts. Die entsprechenden Mondphasen in Bezug auf einen solchen solar fixierten Kalendermonat springen entsprechend der Merkregel 12 Tage nach vorne, wenn man dann jedoch den 30-Tage-Rahmen eines solchen solaren Kalendermonats übertritt, d.h. im Vormonat landen würde, dann macht man einen Sprung um plus 20 Tage, was dann eigentlich die entsprechende Mondphase des Folgemondmonats wäre, wenn man sich auf einen ungebundenen Mondkalender bezieht.
Der oben genannten Merkregel folgend bedeutet dies, daß bei einem 12-Tage-Sprung kein Schaltjahr ist, d.h. ein Jahr besteht aus 12 lunaren Monaten. Bei einem 20-Tage-Sprung wird jedoch ein Monat eingeschaltet und wir haben 13 lunare Monate bzw. drei Litha-Monate. Der ober angenommen solar fixierte Kalender, der als Bezugsrahmen für die -12/+20-Schaltregel herangezogen worden ist, war möglicherweise ein Wochenkalender der das 365 Tage umfassende Jahr in 73 Fünf-Tage-Wochen sog. fimter (Fünfer) unterteilte, wie wir es von den Färöer kennen. Es gab 12 Wochenkalender Monate zu je 30 Tagen und 6 Fünf-Tage-Wochen, d.h. die Summe aller fimter in diesen 12 Wochenkalendermonaten betrug 72 und umfasste damit nur 360 Tage. Die eine verbliebene 73. Fünf-Tage-Woche ist demzufolge keinem Monat zugeordnet. Dieses monatslose fimt ist dann offensichtlich nach dem letzten Monat bzw. unmittelbar vor der beobachtbaren Wintersonnenwende eingefügt worden. Die beobachtbare Wintersonnenwende war demnach der 1. Tag (Neujahr) des Wochenkalenders. Desweiteren wurde jeder sechs fimter umfassende Monat in zwei Vierzehnernächte (eng. fortnight, altenglisch fēowertyne niht) unterteilt. Diese Vierzehnernächte, die im Prinzip Halbmonate sind, trugen im färöerischen Kalender zum Teil sogar eigene Halb-Monatsnamen. Abschließend möchte ich noch auf das altenglische Menologium Poeticum hinweisen. Hierbei handelt es sich um ein in Stabreimen geschriebenes Kalendergedicht, das etwa auf das Jahr 1044 (1040-1066) datiert wird. In der alliterierenden Tradition, in der auch die Eddalieder stehen, wird hier ein bereits christlicher Jahreskreis dichterisch beschrieben. In dem Gedicht werden sowohl lateinische als auch einige der o.g. anglischen Monatsnamen benutzt. So treffen wir auf den Solmonath, Hlyda, Eastermonath, Thrymylce, ærra Líða, Weodmonath, Háligmónað, Winterfylleth, Blotmonath und ærra Iula. Die Monate werden zum Teil personalisiert und so zu Handlungstragenden der Geschichte. Auch treffen wir dort auf andere Relikte der heidnischen Begriffswelt wie z.B. middangeard – Mittgart, die Welt in der kosmographischen Mitte, in der die Menschen leben. Eine aktuelle Übersetzung des Menologiums ins moderne Englisch finden wir in „The Old English Metrical Calendar (Menologium)“ von Kazutomo Karasawa.
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