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Das andere Gudrunenlied

König Dietrich war bei Atli und hatte dort die meisten seiner Mannen verloren. Dietrich und Gudrun klagten einander ihr Leid. Sie sprach zu ihm und sang:

1 Die Maid der Maide erzog mich, die Mutter
Im leuchtenden Saal. Ich liebte die Brüder,
Bis mich Giuki mit Gold bereifte,
Mit Gold bereifte und Sigurden gab.

2 So war Sigurd bei den Söhnen Giukis
Wie über Halme sich hebt edler Lauch,
Wie hoch der Hirsch ragt über Hasen und Füchse
Und glutrotes Gold scheint über graues Silber.

3 Bis mir nicht gönnen mochten die Brüder
Den Helden zu haben, den hehrsten aller.
Sie mochten nicht ruhen, nicht richten und schlichten
Bis sie Sigurden erschlagen ließen.

4 Vom Thinge traurig traben hört ich Grani;
Sigurden selber sah ich nicht.
Alle Rosse waren rot von Blut
Und in Schweiß geschlagen von den Schachern.

5 Gramvoll ging ich mit Grani reden,
Befragte das Pferd mit der feuchten Wange;
Da senkte Grani ins Gras das Haupt:
Wohl wußte der Hengst, sein Herr sei tot.

6 Lange zaudert ich, zweifelte lange
Bevor ich den Volkshirten frug nach dem König.

7 Gunnar hing das Haupt; doch Högni sagte
Mir meines Sigurd mordlichen Tod:
"Jenseits des Stroms erschlagen liegt er,
Den Guthorm fällte, zum Fraß den Wölfen.

8 Sieh den Sigurd gegen Süden dort,
Höre Krähen krächzen und Raben,
Adler jauchzen der Atzung froh,
Und Wölfe heulen um deinen Helden." -

9 "Wie hast du mir, Högni, des Harms soviel,
Dem wonnewaisen Weibe gesagt?
Daß Raben und Falken das Herz dir zerführten
Weiter über Land als du Leute kennst!"

10 Högni antwortete mit einem Mal
Des sanften Sinnes mit Schmerz beraubt:
"Das gäbe dir, Gudrun, erst Grund zu weinen,
Wenn mir auch die Raben zerrissen das Herz!"

11 Vor ihrem Anblick einsam ging ich da,
Die Brocken zu lesen von der Wölfe Leichenschmaus.
Ich schluchzte nicht, noch schlug ich die Hände,
Brach nicht in Klagen aus wie Brauch ist der Frauen,
Da ich schmerzvoll saß über Sigurden.

12 Die Nacht dauchte mich neumonddunkel,
Da ich sorgend saß über Sigurds Leiche.
Viel sanfter würden die Wölfe mir scheinen,
Ließen sie mich das Leben missen,
Oder brennte man mich wie Birkenholz.

13 Ich fuhr aus dem Forst; nach der fünften Nacht
Naht ich den hohen Hallen Alfs.
Sieben Halbjahre saß ich bei Thora,
"Hakons Maid in Dänemark.

14 In Gold stickte sie mich zu zerstreuen
In Südlandsälen dänische Wikinge.

15 Wir bildeten künstlich der Krieger Spiele,
Die Helden der Herrscher in Handgewirke;
Rote Ränder, Recken des Hunnenlands,
Mit Helm und Harnisch der Herrscher Geleit.

16 Vom Strande segelten Sigmunds Rosse
Mit goldnem Schiffshaupt, geschnitztem Steuer.
Wir wirkten und webten die Waffentaten
Sigmunds und Siggeirs südlich in Fione.

17 Da hörte Grimhild, die Gotenfürstin,
Wie tief ihre Tochter betraure den Gemahl.
Sie warf ihr Gewebe fort, winkte den Söhnen,
Das zu erfahren trug sie und sprach:
Wer Buße wolle der Schwester bieten,
Den erschlagnen Gatten vergelten der Frau?

18 Gunnar erbot sich ihr Gold zu bieten,
Ihren Harm zu sühnen, und so auch Högni.
Da fragte sie ferner, wer fahren wolle
Die Säumer zu satteln, die Wagen zu schirren,
Den Hengst zu tummeln, den Habicht zu werfen,
Den Bolzen zu schießen vom Eibenbogen?

19 Waldar den Dänen und Jarisleif,
Eimod zum dritten und Jarisskar
Führten sie vor mich, Fürsten gleich.
Rote Waffenröcke trugen des Langbärtgen Recken,
Hohe Helme und helle Brünnen,
Breite Schwerter, die braungelockten.

20 Ein jeder verhieß mir herrlichen Schmuck,
Herrlichen Schmuck mit schmeichelnden Reden,
Ob sie mich möchten für manches Leid
Auf Trost vertrösten; aber ich traute nicht.

Grimhild brachte den Becher mir dar,
Den kalten, herben, daß ich Harms vergäße.
Der Kelch war gekräftigt aus der Quelle Urds,
Mit urkalter See und sühnendem Blut.

22 In das Horn hatten sie allerhand Stäbe
Rötlich geritzt; ich erriet sie nicht.
Den langen Lindwurm des Lands der Haddinge,
Ungeschnittne Ähre und Eingang von Tieren.

23 Im Gebrauten beisammen war Bosheit viel,
Allerlei Wurzeln und Waldeckern,
Tau des Herdes und Tiergeweide,
Gesottne Schweinsleber, die den Schmerz betäubt.

24 So vergeben vergaß ich da
Der Gespräche Sigurds all im Saal.
Könige kamen vor die Knie mir drei
Ehe sie selber naht und sagte:

25 "Ich gebe dir, Gudrun, das Gold empfange,
Dein volles Erbgut nach des Vaters Tod,
Blanke Ringe, die Burgen Hlödwers
Und des toten Fürsten Fährniß all.

26 Hunnische Töchter, die Teppiche wirken
Und Goldgürtel dich zu ergötzen.
Du allein sollst schalten über die Schätze Budlis
Mit Gold begabt als die Gattin Atlis."

Gudrun:
27 Keinem Manne mehr will ich vermählt sein,
Noch Brünhildens Bruder haben.
Mir geziemt nicht mit dem Erzeugten Budlis
Das Geschlecht zu mehren und zusammen zu leben.

Grimhild:
28 Nicht wolle den Harm den Helden vergelten,
Begannen wir Giukungen gleich den Zwist.
So sollst du lassen als lebten dir beide,
Sigurd und Sigmund, wenn du Söhne gewinnst.

Gudrun:
29 Nicht mag ich mich mehr ermuntern, Grimhild,
Und keinem Helden Hoffnung gewähren,
Seit ich schwelgen an Sigurds Herzblut
Den Raben sah, den raubgierigen.

Grimhild:
30 Ihn hab ich von allen den edelstgebornen
Der Fürsten befunden und in vielem den besten.
So freie den Fürsten: bis dich fesselt das Alter
Wirst du verwaist sein, wählst du nicht ihn.

Gudrun:
31 Biete mir nicht das bosheitvolle,
So aufdringlich mir dieses Geschlecht.
Dem Gunnar gibt er grimmen Tod,
Schneidet dem Högni das Herz aus dem Leibe.
Nicht fand ich dann Frieden bevor ich das Leben
Gekürzt dem freveln Kriegsbrandschürer. -

32 Mit Grausen hörte Grimhild das Wort,
Denn ihren Kindern kündet es Verderben
Und den Untergang all ihrem Geschlecht.

Grimhild:
33 Noch leih ich dir Land und Leute viel,
Winbjörg, Walbjörg, willst du sie haben.
Nimm sie lebenslang und laß den Zorn.

Gudrun:
34. Nun will ich ihn kiesen unter den Königen;
Doch wider Willen, auf der Freunde Wunsch.
Nie wird der Gatte Glück mir bringen,
Meine Söhne büßen der Brüder Mord. -

35 Rasch auf die Rosse saßen die Recken da,
Die welschen Weiber zu Wagen hoben sie.
Sieben Tage durchtrabten wir kaltes Land,
Über See setzten wir sieben andre,
Durch dürre Steppen ging's die dritten sieben.

36 Da hoben die Wächter der hohen Burg
Das Gitter empor: durch die Pforte ritten wir.
Atli weckte mich; aber ich schien ihm
Der Vorahnung voll von der Freunde Tod.

Atli:
37 So haben auch neulich mich Nornen geweckt;
Vergönnte das Graunbild günstige Deutung!
Ich wähnte dich, Gudrun, Giukis Tochter,
Mir die Brust durchbohren mit blankem Dolch.

Gudrun:
38 Der Traum von Dolchen bedeutet Feuer,
Holde Heimlichkeit der Hausfrau Zorn.
Ich brenne dir bald ein böses Geschwür aus,
Ich heile und lindre, wie leid du mir seist.

Atli:
39 Reiser im Garten sah ich ausgerissen,
Die ich da wachsen lassen wollte.
Entrauft mit der Wurzel, gerötet im Blut
Und aufgetragen, daß ich sie äße.

40 Ich sah von der Hand mir Habichte fliegen
Ohne Atzung, dem Untergang zu.
Ihre Herzen wähnt ich mit Honig zu essen
Sorgenschwer geschwollen von Blut.

41 Welpen wähnt ich entwänden sich mir,
Ich hörte sie harmvoll heulen und wimmern.
Ihr Fleisch, furcht ich, war faul geworden:
Mit Ekel aß ich von dem Aase da.

Gudrun:
42 Dir werden Schacher im Schlafgemach richten,
Den Lichtgelockten die Häupter lösen:
Sie werden erschlagen nach wenig Nächten,
Kurz vor Tag, und aufgetischt. -

43 Seitdem lieg ich den Schlummer meidend
Trotzig im Bette: tun will ich so

44 "Verleid ihr niemand den langen Gang
Und werde sie nimmer wiedergeboren!
Sie kam schon krank vor die Knie der Mutter;
Zu allem Bösen geboren ist sie uns,
Manchem Manne zu trübem Mute!"

45 Unwillig wandt er sich weg vom Gespräche,
Wo die schmuckreiche die Schätze verteilte.
Da standen sie alle um ihre Habe,
Bedürftige Dirnen und Dienstweiber.

46 Der goldgepanzerten war nicht gut zu Mut,
Da sie sich durchstach mit des Stahles Schärfe.
Mit einer Seite sank sie aufs Polster;
Die dolchdurchdrungene dacht auf Rat:

47 "Nun geht herzu, die Gold wollen
Und minderes Gut von mir erlangen;
Ich gebe jeder goldroten Halsschmuck,
Schleif und Schleier und schimmernd Gewand."

48 Alle schwiegen sie und sannen auf Rat,
Bis endlich zur Antwort sie einstimmig gaben:
"Wie dürftig wir seien, wir wollen doch leben,
Saalweiber bleiben und tun was gebührt."

49 Sinnend sprach die linnengeschmückte
Jung von Jahren jetzt das Wort:
"Nicht eine soll ungern und unbereit
Sterben müssen um meinetwillen.

50 Doch brennt auf euern Gebeinen dereinst
Karge Zier, kommt ihr zu sterben
Und mich heimzusuchen, nicht herrliches Gut.

51 Sitze nun, Gunnar, ich will dir sagen,
Ich lebensmüde, dein lichtes Gemahl.
Nicht liegt euch im Sunde das Schiff geborgen,
Ob ich das Leben verloren habe.

52 Schneller als du denkst versöhnt sich dir Gudrun.
Die kluge Königin hat bei dem König (Alf)
Trübe Gedanken an den toten Gemahl.

53 Eine Maid wird geboren aus Mutterschoße:
Heller traun als der lichte Tag,
Als der Sonnenstrahl wird Swanhild sein.

54 Einem Helden geben wirst du Gudrunen,
Die mit Geschossen die Krieger schädigt.
Nicht nach Wunsch wird sie vermählt:
Atli soll sie zur Ehe nehmen,
Budlis Geborner, der Bruder mein.

55 An manches muß ich denken wie ihr mich berietet:
Heillos habt ihr mich hintergangen.
Aller Lust war ich ledig solang ich lebte.

56 Oddrunen willst du zu eigen haben;
Aber Atli gibt sie zur Ehe dir nicht:
Da werdet ihr heimlich zusammenhalten.
Sie wird dich lieben, wie ich dich würde,
Hätte das Schicksal uns solches gegönnt.

57 Dich wird Atli übel strafen:
In die wüste Wurmhöhle wirst du gelegt.

58 Danach unlange ereignet es sich,
Daß Atli argen Ausgang nimmt,
Sein Glück verliert, das Leben einbüßt.
Ihn tötet die grimme Gudrun im Bette
Mit scharfem Schwert, die schwerbetrübte.

59 Schicklicher stiege eure Schwester Gudrun
Heut auf den Holzstoß mit dem Herrn und Gemahl,
Gäben ihr gute Geister den Rat
Oder besäße sie unsern Sinn.

60 Schwer sprech ich schon; doch soll Gudrun
Durch unsre Abgunst nicht untergehn.
Von hohen Wellen gehoben treibt sie
Zu jenem jähen, Jonakursstrand.

61 Unentschieden sind die Söhne Jonakurs;
Swanhilden sendet sie selbst aus dem Lande,
Die dem Sigurd entsproß und ihrem Schoß;
Da rauben ihr Bickis Räte das Leben,
Denn Unheil hängt über Jörmunreks Haus.
So ist Sigurds Geschlecht vernichtet,
So größer und grimmer Gudruns Leid.

62 Eine Bitte bitten will ich dich;

 

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