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 Der Chessel Down Bucket:
Eine Runenformel für den Weg nach Walhall

Grabbeigaben, wie wir sie u.a. aus Sutton Hoo kennen, sollten den toten Helden ins Jenseits begleiten, ihm dienen und vermutlich seinen Status markieren. Doch in welcher Weise sollte ein "Eimer" wie der in Chessell Down gefundene hilfreich sein? Nach der Beschreibung des Britischen Museums handelt es sich um "einen Messingeimer, zylindrisch mit einem lang geschwungenen, facettierten Henkel; Punzierungsfries mit Hirschjagd zwischen Bäumen; Hund; Leopard; Runeninschrift."1
Tatsächlich stammt dieses byzantinische Werk aus dem 6. Jahrhundert und wurde später mit einer Runenritzung versehen, mit "Old English" als Sprachangabe mit einem Fragezeichen (British Museum), denn es handelt sich um eine kryptische Folge von 12 Runen2:

b-Runew-Runes-Rune e-Runee-Runee-Rune k-Runek-Runek-Rune A-RuneA-RuneA-Rune

BSW EEE KKK ÆÆÆ

Um hier einen Zugang zu finden, analysieren wir eine Szene von Tod und Auferstehung, wie wir sie von dem Franks Casket (Auzon Runic Casket) kennen. Wie also führt dieser Weg vom Schlachtfeld auf der Erde nach Walhalla, Odins/Wodens Reich im Wipfel der Esche Yggdrasil? Das Bild auf der Schatulle bietet eine perfekte Darstellung der Geschehnisse, wie sie in dem umlaufenden Runentext beschrieben werden:

Text (wie auf die Ränder verteilt):
Oben: herh os sitæþ on hærmbergæ agl(ac)
Rechts: drigiþ swa
Unten: hir i erta e gisgraf særden sorgæ a
Links: nd sefa tornæ

Alliteration:
h-Runeh-Rune a-Runee-Rune s-Runes-Runes-Rune
HH -EA -SSS

Übersetzung (in Langzeilen gegliedert):
Die Waldgottheit sitzt auf dem Unheilsberg
Sie bringt Unheil, wie Erta es ihr aufgetragen hatte
Sie verursachen Kummer, Trauer und Herzensleid

Dies ist nur eine der vielen möglichen Übersetzungen 3b

Bild (Franks Casket, rechte Seite):

Links: Der Held begegnet seiner Walküre - der kampferprobten Fylgja, die ihn durchs Leben führte - nun in ihrer furchterregenden Gestalt, Herh Os (h-Rune Rune h), der Waldgottheit.4 Durch die Schlange um ihren Mund kann Odin/Wodens Spruch symbolisiert worden sein. Der Schicksalszweig (risci) in ihrer Hand wird zu "Holz" (wudu, Metapher für "Speer") und damit zu einer tödlichen Waffe (bita). Gelähmt durch den Anblick der furchterregenden Gestalt erliegt unser Krieger dem Feind; doch am Ende ist es die Auswählerin der Toten, die Walküre, die ihn heimholt.
Runen: Die H-Rune h-Rune (H = hagal, Hagel) verheißt "Unheil". Damit ist die Szene treffend kommentiert.

Zentrum: Der Vorfall kann sich im Wald abspielen (vielleicht in einem heiligen Eichenhain). Die Walküre fliegt in ihrer Vogelgestalt zu diesem Ort, um (nun in ihrer menschlichen Gestalt) den Gefallenen (hier in seinem Grab) durch einen Trunk aus ihrem Kelch zu erwecken. Ein Pferd, das durch den Odinsknoten ("Triskele") als Sleipnir, das Pferd des Gottes, gekennzeichnet ist, wird den wiederbelebten Helden nach Walhalla tragen.
Runen: a-Rune (A =ac, Eiche) und e-Rune (E = eh, Pferd). Auch diese Runennamen korrespondieren mit dem Bild, das Wodens Ross sowie einige Blätter und Wurzeln eines Baumes, vielleicht einer Eiche, zeigt. Darüber hinaus findet sich der Runentitulus w-Runeu-Runed-Runeu-Rune (wudu), mit dem der Wald (oder, als Metapher, der Speerschaft) gemeint sein kann. Wurzeln und Blätter der Pflanzen, gelesen als Zweigrunen, kommentieren die Szene.

Rechts: Hier scheinen zwei Seelenführer (Psychopomps) den Gefallenen zu ergreifen, um ihn zu seinem endgültigen Ziel zu führen. Allerdings ist diese Konstellation - außer vielleicht auf der Sutton-Hoo-Purse - nicht bekannt.
Runen: s-Runes-Runes-Rune (S = sigel, Sonne). Die Sonne oder ihr Licht ist ein Symbol der Auferstehung und des Lebens. Auch hier stimmen der Name der Rune und die Botschaft des Bildes überein.
Runenwert
Der Wert einer jeden Rune wird durch ihre Position in der Runenreihe bestimmt. Die 7 alliterierenden Runen sind
H (9) / A (25) / E (13) / S (16). Sie (h-Runeh-Rune= 18 / a-Rune e-Rune = 44 / s-Runes-Runes-Rune = 48); sie ergeben den Wert 110 (10 x 11).
Die 11 und vor allem ihr Vielfaches spielt auf dem Kästchen eine besondere, wahrscheinlich magische Rolle. So ergeben auf den drei Tafeln, die dem Leben gewidmet sind, die 3 Beschwörungen mit je 9 Runen den Wert 33, während auf dieser Tafel, die dem Tod und der Auferstehung gewidmet ist, die Formel drigiþ swa mit ihren 9 Runen den Wert 110 ergibt.
Die Bildformel, nach der der gefallene Krieger von der Walküre durch einen Trank wiedererweckt wird, um auf Odin/Wodens Pferd nach Walhalla zu reiten, findet sich auch auf dem gotischen Bildstein von Lärbro, Tjängvide und auf einigen anderen.

Wenn die Reihenfolge der Runen auf dem Chessell Down Eimer keinen Wortsinn ergibt, können die Namen der Runen sowie deren Anzahl und Runenwert hilfreich sein. Um mit Letzterem zu beginnen: Die Anzahl der Runen, 12, bezieht sich auf die Monate des Jahres, wie die Rune y-Rune (Y), ger, Jahr, a anzeigt. Es ist also eine sinnvolle Zahl. Ihr gesamter Wert ist 270, das ist 3 x 3 x 3 x 10. - Der Wer 27 wäre an sich schon mächtig, aber hier wird er um das 10-fache verstärkt, wobei 10 sie unendlich macht.

b-Runew-Runes-Rune e-Runee-Runee-Rune k-Runek-Runek-Rune A-RuneA-RuneA-Rune Da auf die ersten 3 Runen (BSW) 3 Gruppen von 3 Runen der gleichen Art folgen (E E K K Æ Æ Æ), können wir b s w als eine Art Anrufung ansehen, zumal b-Rune (beorc) für die Birke steht und somit auf eine Gottheit oder Walküre "Berkano" hinweisen könnte, die über Leben, Tod und Wiedergeburt herrscht7. Möglicherweise wurde dieser besondere Name wegen seiner Initiale b-Rune gewählt, um den magischen Wert 270 zu erreichen.

In Bezug auf die kryptische Runenfolge auf dem Chessell Down Bucket bedeutet dies:
b-Rune beorc (Berkano) entspricht in ihrem Wesen der Walküre, in diesem Fall der Waldgottheit Herh-os. Beide bringen zunächst den Tod im Kampf, Voraussetzung für Walhalla. (vgl. Linke Szene, Rune h-Rune = Unglück).
w-Rune wyn (Freude) beschreibt hier die Glückseligkeit der Auferstehung durch den Trank aus dem Kelch und Wodens Pferd für den Ritt nach Walhalla. (vgl. FC rechte Seite, Mitte, Runen a-Rune= Eiche und e-Rune = Pferd).
s-Rune Sigel (Sonne) schließlich steht für das Jenseits bei den Helden von Walhalla. (rechtes Teilbild, Rune S)

e-Runee-Runee-Rune k-Runek-Runek-Rune A-RuneA-RuneA-Runee-Runee-Rune k-Runek-Runek-Rune A-RuneA-RuneA-Rune Auf die Eröffnungsformel bws (3 Runen) folgen nun 3 Runen (m-Runek-RuneA-Rune), jeweils dreifach gesetzt. Die dreifache Zahl hat eine magische Absicht:
e-Runee-Runee-Rune eh (Pferd). Diese Rune bezieht sich auf Odin/Wodens Pferd, das bereit ist, die Gefallenen nach Walhalla im Wipfel von Yggdrasil, der Weltesche, zu bringen.
k-Runek-Runek-Rune calc (Becher) symbolisiert den belebenden Trank, den die Walküre (hier Berkano) ihrem Schützling anbietet, um ihn aus seinem Grab auferstehen zu lassen.
A-RuneA-RuneA-Rune æsc (Esche) steht für Yggdrasil, die Esche, in deren Wipfel sich Asgard, das Reich der Götter, befindet und damit auch Odin/Wodens Walhalla. Hier leben die Einherjer, Odins Kämpfer, zu denen nun auch der wiederauferstandene Held gehört.

The Folge von Runen auf dem Eimer von Chessel Down ist also eine gut berechnete Formel für den Übergang von dieser Welt nach Walhalla. Wenn sie also auf weniger kunstvolle Weise in ein Gefäß geritzt wurde, das wahrscheinlich für ganz andere Zwecke bestimmt war und dem Toten mitgegeben wurde, dann deutet dies darauf hin, dass diese Formel denjenigen, die die Runen kannten, vertraut war, d. h. dass sie Tradition war. Es sollte nicht überraschen, wenn man sie auch andrenorts ausgraben sollte.


1 The British Museum - bucket
2 Text übernommen aus Stephen Pollington, Wayland 's Work (2010) S. 468. Schon Pollington zieht den Vergleich zu der Szene auf dem Franks Casket. Siehe auch, Pollington, Runes, Literacy in the Germanic Iron Age (2016), S. 292 mit Verweis auf Tineke Looijenga und andere, die darin die Initialen von "Becca, Wecca und Secca" sehen.
3a Siehe dazu Alfred Becker, Franks Casket, Das Runenkästchen von Auzon (Berlin, 2021), S. 71 ff
3b A. Becker, Franks Casket (Regensburg 1973) S. 39 ff. H - Tafel (rechte Seite) - Das Bild
4 Diese Interpretation folgt Wolfgang Krause, "Erta, ein anglischer Gott", Die Sprache 5 (1959) 46-54
5 Knoten des Todes siehe A. Stone oben Gastbeiträge - Stone, "The Knots of Death"
6 Das AE-Runengedicht beschreibt sie in Form von Rätseln, aus denen sich die Namen ableiten lassen. Jedenfalls wurden die heidnischen Anspielungen bereinigt.
7 Pollington, Runes, S. 129 mit Verweis auf Polomé (1991). Nach E. Thorsson (Stephen Flowers) herrscht die Göttin Berkano über den Prozess der menschlichen und irdischen Verwandlungen. So stehen die entscheidenden menschlichen Übergangsriten - Geburt, Pubertät, Heirat und Tod - und der jahreszeitliche Zyklus der Landwirtschaft unter ihrer Kontrolle. Die Rune b-Rune regelt den zyklischen Prozess der Auferstehung (Geburt), des Wachstums (Leben), des Vergehens (Tod) bis hin zu einer neuen Auferstehung (Wiedergeburt).

 

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